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Was heißt schon Überalterung? – Bericht in der RNZ

Hirschhorn. Sie nennen sich „Freunde der Hirschhorner Altstadt“, womit sie, mit Verlaub, ihren gehobenen Altersschnitt praktisch schon im Namen führen. Und tatsächlich: 65 Jahre zählt der durchschnittliche Altstadtfreund, 50 der 76 Mitglieder haben die sechzig schon hinter sich, sieben sind schon über achtzig. Muss man davon ausgehen, dass es den Verein in spätestens zehn Jahren nicht mehr gibt? „Vor zwei Jahren hätte ich darauf mit einem klaren Jein geantwortet“, amüsiert sich Reiner Lange über diese Frage. „Heute heißt meine Antwort nein, weil wir inzwischen viel Zuspruch hatten. Ich bin optimistisch“. Lange, mit seinen 46 Jahren der Zweitjüngste im Verein, hat vor zwei Jahren den Vorsitz übernommen. Seitdem sind fast dreißig Hirschhorner dem Verein neu beigetreten, ein Zuwachs von nahezu 38 Prozent. Es lässt sich zwar nicht leugnen: jüngere Menschen – das heißt hier unter 43-Jährige – sind nicht darunter. Aber von Überalterung im problematischen Sinne, so, wie sie die meisten anderen Vereine plagt, kann bei den Altstadtfreunden nicht die Rede sein. Davon überzeugte uns – und möglicherweise auch sich selbst – Reiner Lange im Gespräch.

Dass ausgerechnet er, der Betriebswirt und EDV-Mann, der mit Vereinen noch nie was am Hut hatte, mit 44 oberster Altstadtfreund wurde, ist so eine Art Erbfall. Denn nach dem Tod seines Vaters, der jahrelang Vereinsvorsitz führte, waren dieser und auch andere Posten vakant, und Nachfolger fanden sich keine. Reiner Lange: „Die Situation war offen, man hat mich bedrängt, das zu übernehmen“. Und weil er halt von jeher geschichtlich interessiert ist, ließ er sich breitschlagen.

Gründungszweck der Altstadtfreunde war 1982 ja ein eher kommunalpolitischer. Damals taten sich im Zuge des gerade aufgelegten Landesförderprogramms Anwohner zusammen, um bei der Umgestaltung der Altstadt zur Fußgängerzone mitzureden. „Die Leute waren damals um die 40 und sind mit dem Verein gealtert“, erklärt Lange die Tatsache, dass nach Abschluss der Altstadtsanierung die Vereinszeichen über Jahre auf Schrumpfen standen: „Es gab ein Generationenproblem“.

Wie also weitermachen? Dass er eine Idee gehabt hätte, um dem Verein eine neue Richtung zu geben, verneint Lange: „Aber ich war offen für Vorschläge“. Ohne neuen Zugang und echte „Belebung“ des Vereins, so viel war Lange klar, hatten die Altstadtfreunde aber keine Chance.

Mit der Auflage eines Kalenders mit Hirschhorner Ansichten fand sich der Verein dann endlich auf der Erfolgsschiene wieder. „Zuerst wurden 250 aufgelegt, die waren nach zwei Wochen ausverkauft“. Im vorigen Jahr fanden sich dafür schon 400 Abnehmer. Und mit der Reihe „Unwiederbringliches Hirschhorn in Bronze“ ließ sich an diesen Erfolg anknüpfen – und neues, zukunftsträchtiges Terrain besetzen. Denn mit ihren inzwischen fünf über die Altstadt verteilten Bronzetafeln, die an Lebensverhältnisse und Gewerbe vergangener Zeiten erinnern, leistet der Verein einen Beitrag zur Dokumentation der Lokalgeschichte, fördert aber auch die Attraktivität einer heute zunehmend auf Tourismus ausgerichteten Stadt. Für Reiner Lange angesichts der vielen Leerstände in der Innenstadt und zahlreicher sanierungsbedürftiger Häuser ein Gebot der Stunde. Deshalb legen die Altstadtfreunde auch gerne Hand an, wenn es um Verschönerungsmaßnahmen wie das Streichen von Geländern, das Anbringen von Aschenbechern und dergleichen geht. Lange: „Wir übernehmen in unserem Rahmen auch kommunale Aufgaben“. Immer geleitet von der Frage: „Wir können wir uns als Verein einbringen?“

Ganz wichtig für das Vereinsleben, das hat der quer eingestiegene Vereinschef schnell begriffen, ist es, die „breite Masse mit seinen Aktivitäten und Aktionen anzusprechen – und Präsenz zu zeigen“. Man müsse die Leute zusammenführen, sagt Reiner Lange, und das durchaus auch über Ausflüge oder gesellige Kaffeerunden. Denn wer da mitmacht, unterstütze den Verein auf seine Weise.

Was Hirschhorn verloren ginge, gäbe es die Altstadtfreunde nicht? „Bürgerschaftliches Engagement“, sagt Lange, die Möglichkeit, aus einer unabhängigen Warte „das politische Treiben zu beäugen und zu unangenehmen Themen Stellung zu beziehen“. Dass dies zu erkennen und sich in einen Verein wie die Altstadtfreunde einzubinden einen gewissen Reifeprozess voraussetze und Stabilität der persönlichen Verhältnisse, da ist sich Reiner Lange sicher – und betrachtet den höheren Altersschnitt deswegen mitnichten als Todesurteil. Trotzdem will er aktiv um Kinder und Jugendliche werben. Denn die sind irgendwann schließlich auch wieder 40 plus. 

Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung,

Region Eberbach Datum: 21/22.06.2013

Redakteur: Jutta Biener-Drews

 

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